Was Deutschland nach der Wahl braucht

Yasin Baş
Yasin Baş

Der Wahlausgang ist für mich keine große Überraschung, da die Erwartungen und Prognosen im großen Umfang eingetreten sind. Die CDU hat, trotz bedeutender Verluste, wie erwartet, die Aufgabe der Regierungsbildung.

Große Koalition in Deutschland bedeutet Stillstand

Ich hoffe nur, dass es nicht erneut zu einer großen Koalition kommt. Aus politikwissenschaftlicher Sicht sind große Koalitionen eigentlich positiv zu betrachten, weil damit Reformvorhaben leichter zu bewerkstelligen sind. Aber am Beispiel der gemeinsamen Regierung der Union und der SPD haben wir in den letzten Jahren eher einen Stillstand erlebt.

Das tat der Entwicklung unseres Landes nicht gut. Ich hoffe, dass die Gesetzesvorhaben mit einer möglichen Beteiligung der Liberalen nun konsequent angefasst werden, appelliere aber auch an das soziale Gewissen der künftigen Koalitionspartner.

FDP darf nicht nur Klientelpolitik betreiben

Die FDP darf nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen, indem sie als eine Klientelpartei der sog. Bessergestellten agiert. Wir haben gesehen, wozu genau das 2013 bei der FDP geführt hat. Aus meinem persönlichen Umfeld weiß ich zudem, dass die FDP viele Stimmen von traditionellen SPD- und Grünen-Wählern erhalten hat. Das sind jedoch Leihstimmen. Die FDP muss behutsam mit diesen Leihstimmen umgehen.

Die Entlastung der Benachteiligten und Hilfsbedürftigen, also eine solidarische Politik, täte unserem Land gut. Die schwächeren Schultern müssen u.a. bei Steuern und Sozialabgaben entlastet werden. Öffentliche Investitionen müssen konsequenter durchgeführt und gefördert werden.

Entspannung der Beziehungen zur Türkei

Die Generationengerechtigkeit muss im Rahmen des demographischen Wandels ebenso im Blickfeld behalten werden wie die Entspannung der Beziehungen zu Staaten wie den USA, Russland oder der Türkei. In dem eskalierenden Konflikt mit dem Land am Bosporus gelten beide Seiten als Verlierer. Das kann geändert werden, indem man zu einer „Politik der Vernunft“ zurückkehrt.

Deutschland braucht ein Integrationsministerium

Außerdem hoffe ich, dass bei der Frage der doppelten Staatsangehörigkeit und des Modells des Generationenschnitts eine migrantenfreundliche Lösung gefunden wird. Auch über eine Quotenregelung – so umstritten diese in bestimmten Kreisen auch sein mag – in der Teilhabe von Menschen mit Einwanderungsgeschichte sollte langsam nachgedacht werden.

Überdies sollten die islamischen Religionsgemeinschaften endlich einen gesicherten Körperschaftsstatus erhalten. Die Frage der Integration der Geflüchteten, Einwanderer und Muslime verdient deshalb eine größere Bedeutung als bisher. Daher sollte es ein eigenes Ressort (ein eigenes Ministerium) geben, das sich um diese Belange kümmert.

Ein aufgewertetes Migrations- bzw. Integrationsministerium würde dem Einwanderungsland Deutschland gut stehen. Das könnte vielleicht auch endlich dazu führen, dass die Themenfelder Flucht, Integration, Migration und Islam nicht in erster Linie aus dem Blickwinkel von „Ordnung und Sicherheit“, sondern aus der sozialpolitischen Perspektive betrachtet werden.

Vorsicht vor Extremismus, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit

Eine Befürchtung, nicht nur meinerseits, ist, dass die voraussichtlich in den Bundestag gewählten Rechtspopulisten ihre Stellung weiter ausbauen könnten. Schlimm wäre es, wenn die Partei sich – ähnlich wie in der Weimarer Republik die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) – weiter radikalisiert und dadurch unschöne Zeiten für den Frieden und den gesellschaftlichen Wohlstand in Deutschland und Europa beginnen.

Wir sehen hier nochmal sehr deutlich, dass die Menschen lieber das Original, also die AfD, gewählt haben, anstatt die Parteien, die rechtspopulistische und rechtsextremistische Positionen der AfD kopiert haben.

Gegen die Türkei und seinen Präsidenten, gegen die Flüchtlinge oder die Muslime zu hetzen hat den etablierten Parteien wohl nicht so viel gebracht. Einzig und allein die AfD hat davon profitiert. Nun müssen gemeinsame und demokratische Lösungen gefunden werden, um mit dem – in großen Teilen selbst produzierten – Problem „Rechtspopulismus“ fertig zu werden.

Gegen Antisemitismus, Islamfeindlichkeit und Rechtsextremismus muss von Beginn an hart durchgegriffen werden. Ebenso erwarten die Menschen ein stärkeres Vorgehen gegen Kriminalität und Terrorismus, egal ob von Rechts, Links oder der Mitte. Aber auch religiös motivierter Extremismus muss entschieden bekämpft werden. Die bestehenden Präventions- und Demokratisierungsprogramme sollten optimiert werden.